Brennende Liebe
Und willst du wissen, warum
So sinnend ich manche Zeit,
Mitunter so töricht und dumm,
So unverzeihlich zerstreut,
Willst wissen auch ohne Gnade,
Was denn so Liebes enthält
Die heimlich verschlossene Lade,
An die ich mich öfters gestellt?
Zwei Augen hab ich gesehn,
Wie der Strahl im Gewässer sich bricht,
Und wo zwei Augen nur stehn,
Da denke ich an ihr Licht.
Ja, als du neulich entwandtest
Die Blume vom blühenden Rain
Und "Oculus Christi" sie nanntest,
Da fielen die Augen mir ein.
Auch gibts einer Stimme Ton,
Tief, zitternd, wie Hornes Hall,
Die tuts mir völlig zum Hohn,
Sie folget mir überall.
Als jüngst im flimmernden Saale
Mich quälte der Geigen Gegell,
Da hörte ich mit einem Male
Die Stimme im Violoncell.
Auch ich weiss eine Gestalt,
So leicht und kräftig zugleich,
Die schreitet vor mir im Wald
Und gleitet über den Teich;
Ja, als ich eben in Sinnen
Sah über des Mondes Aug
Einen Wolkenstreifen zerrinnen,
Das war ihre Form, wie ein Rauch.
Und höre, höre zuletzt,
Dort liegt, da drinnen im Schrein,
Ein Tuch im Blute genetzt,
Das legte ich heimlich hinein.
Er ritzte sich nur an der Schneide,
Als Beeren vom Strauch er mir hieb,
Nun hab ich sie alle beide,
Sein Blut und meine brennende Lieb.
Annette von Droste-Hülshoff, 1797-1848
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