Eros, der Schenk
Ich wähle mir den Liebesgott zum Schenken,
Er füllt den Becher mir aus Zauberkrügen
Und weiss das Herz in seliges Genügen,
Den Sinn in süssen Taumel zu versenken.

Auch lehrt er mich, zu holdem Angedenken
Den Wein zu schlürfen in bedächt'gen Zügen,
Zu zartem Grusse Reim in Reim zu fügen
Und sanft der Musen weisses Ross zu lenken.

Und wenn des Abends Schatten sich verbreiten
Und müd' ich ruhe von des Tages Genusse,
Erregt er sacht der Zither goldne Saiten.

Da muss im Schlaf gleich Wimpeln auf dem Flusse
Manch hohes Traumbild mir vorübergleiten,
Bis mich der Morgen weckt mit ros'gem Kusse.
Emanuel Geibel, 1815-1884

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